Polycares Steine sind zwar teurer als Ziegel, für den Bau braucht man aber keine Architekten oder anderes Fachpersonal.
Es ist wie bei Lego: Mit den Steinen des thüringischen Unternehmens Polycare lassen sich Gebäude ohne Mörtel oder andere Bindemittel und ohne Wasser bauen. Zusammengefügt und mit Metallstäben verbunden stehen damit die Wände eines Hauses schon in ein oder zwei Tagen. Die Steine bestehen aus einem bestimmten Polymer-Beton. Dafür hat Polycare seit seiner Gründung 2010 und mit heute 22 Mitarbeitern die Zusammensetzung und Herstelltechnik ausgetüftelt.
Als Baustoff kommt sogar Wüstensand infrage, zusammengehalten mit Kunstharz als Kitt. Eine erste Anlage zur Herstellung solcher Steine arbeitet seit Februar 2019 in Namibia, nun ist der Aufbau ähnlicher Fabriken auch anderswo in Afrika geplant. Isabel Faller ist bei Polycare zuständig für die Zusammenarbeit mit Partnern. Warum die wichtig sind und wie das Geschäftsmodell funktioniert, erklärt sie im Interview.
Ein Bausystem für unterschiedliche Gebäude
Frau Faller, wer baut in Afrika mit Ihren Legosteinen?
Zum Beispiel die südafrikanische Firma Boxa Possibilities. Sie errichtet einfache Gebäude in ein bis zwei Wochen und braucht dafür passende Techniken und Materialien. Wir liefern die Steine für die Wände, die üblicherweise mit etwa 40 Prozent der Kosten für den gesamten Rohbau zu Buche schlagen. Daneben gibt es drei weitere Lizenzgeber für das Fundament, das Dach sowie für die Module auf Basis von Sperrholz.
Machen Sie mit diesem Partner bereits große Umsätze?
Nein, Boxa hat sein innovatives Konzept erst vor Kurzem entwickelt. Bisher stehen drei Gebäude als Schau-Objekte, darunter ein Jugendzentrum und ein öffentliches WC. Das System passt aber für die unterschiedlichsten Gebäudetypen. So ist auf einer Insel vor Mosambik gerade der Bau einer Öko-Lodge mit über 15 Häusern in Vorbereitung. In Namibia sind wir mit unseren Steinen, ohne Boxa, an insgesamt 50 Objekten der unterschiedlichsten Art beteiligt. Da sind auch Lagerhallen dabei oder Gebäude für eine Hühnerfarm.
Werden mit Ihren Steinen auch preiswerte Wohnhäuser errichtet?
Bei der Rehoboth Residential Development in Namibia, unserem bisher größten Vorhaben, entstehen gerade zwölf solcher Wohnhäuser mit Kosten von jeweils rund 35.000 Euro, acht sind schon fertig. Dort erbringen wir unseren eigenen Teil, den Bau der Wände, und für die anderen Gewerke haben wir Subunternehmen angestellt. Kunde ist ein Immobilienentwickler, der den Großteil der Häuser bereits vermietet hat. Vorfinanziert wurde das Projekt wesentlich von einer Investorengruppe aus Deutschland.
Bauen insgesamt billiger und effizienter
Sehen Sie im sozialen Wohnungsbau einen großen Markt für Ihre Steine?
Auf jeden Fall, der Bedarf ist in vielen Ländern Afrikas da. Die Regierungen in Namibia und anderswo treiben dafür riesige Programme voran. Unsere Steine sind zwar teurer als Ziegel oder andere übliche Baumaterialien. Trotzdem ist der Bau mit unserem System billiger, weil er viel schneller geht und bei einfachen Projekten auch keine Architekten oder anderes Fachpersonal nötig sind. Zudem muss das Fundament bei unseren leichten Steinen nicht so massiv sein. Außerdem halten die Blöcke 50 bis 100 Jahre, und ein Haus kann abgebaut und woanders aus denselben Steinen wieder aufgebaut werden. Wie bei Lego eben.
Die Logistik ist kein Problem?
Im Gegenteil. Ein Lkw bringt genau die benötigte Anzahl von Steinen, die unsere Software ausgerechnet hat, es gibt keinen Abfall. Außer den Metallstäben und einigen Schrauben braucht der Bau kein weiteres Material und noch nicht mal Wasser. Das ist ein Riesenvorteil in vielen Teilen Afrikas, wo es nicht mal eben einen Baumarkt um die Ecke gibt und Wassernot herrscht. Bei größeren Projekten ließen sich die Steine direkt vor Ort produzieren – mit unseren Maschinen, die wir dafür an die Baustelle liefern. Außer dem Kunstharz wird dafür ja nur Wüstensand oder anderes anspruchsloses Füllmaterial benötigt, das vielerorts verfügbar ist.
Verkaufen Sie bei Wohnbauprogrammen direkt an öffentliche Verwaltungen?
Das ist kompliziert. Wir haben das gleich am Anfang in Namibia gemerkt, wo solch ein Programm aus Geldmangel gestoppt wurde – nachdem wir eben darauf eine entsprechende Abnahmevereinbarung gesetzt hatten. Wir werden bei solchen Vorhaben künftig über Immobilienentwickler gehen, so wie aktuell bei dem Wohnbauprojekt in Namibia.
Über welche weiteren Kanäle vertreiben Sie Ihre Steine?
In Südafrika soll das außer über Boxa und Immobilienentwickler auch über Architekten, den Baustoffhandel sowie Baufirmen gehen. Denkbar ist auch ein Modell wie in Sambia. Dort baut ein deutscher Partner an einer Bau-Berufsschule ein WC mit unseren Steinen, mit finanzieller Unterstützung der Sequa aus der deutschen Entwicklungszusammenarbeit.
Afrikageschäft läuft über Lizenzgebühren
Verdient Polycare sein Geld mit Herstellung und Verkauf der Steine?
Nein, sondern wesentlich über Lizenzen für unsere Produktionspartner. Die Fabrik in Namibia, die bisher alle Steine produziert, gehört uns ja nur zu einem Drittel. In Südafrika, wo nach jetzigem Stand Mitte 2022 eine weitere Produktion in Betrieb gehen wird, planen wir eine Beteiligung von sogar nur 13 Prozent, die anderen Eigenkapitalgeber sind dort bereits zum Großteil gefunden. Für das genannte, insgesamt etwa 35.000 Euro teure Standardhaus mit 65 Quadratmeter in Namibia erhalten wir etwa 500 Euro Lizenzgebühr. Einnahmen wollen wir auch über die Einrichtung weiterer Fabriken oder Produktionsanlagen vor Ort erzielen, im Wesentlichen also mit den Maschinen und der Software dafür.
Wollen Sie mit diesem Geschäftsmodell in weitere Länder expandieren?
Da gibt es das Projekt in Sambia und zudem eine Machbarkeitsstudie mit einer Firma in Nigeria. Recht weit sind wir auch mit potenziellen Partnern in Ghana, Tansania und Ägypten. Hinzu kommen gute Kontakte in einem weiteren halben Dutzend afrikanischer Länder.
Womit finanziert Polycare bisher Gehälter und andere Ausgaben?
Momentan zu rund der Hälfte aus dem Eigenkapital der Investoren, zudem aus erzielten Umsätzen sowie öffentlicher Forschungsunterstützung. In drei Jahren dürfte sich unser Geschäft selbst tragen. Dafür setzen wir auch auf nachhaltigkeitsorientierte Investoren aus Deutschland oder anderswo, die sich an Bauprojekten in Afrika oder an Fabriken für die Bausteinherstellung beteiligen. Sie finanzieren damit eine Technik, die nicht nur 60 Prozent weniger CO₂ verursacht als herkömmliche Bauverfahren, sondern auch die Partner in Afrika unterstützt und Arbeitsplätze vor Ort schafft.
Weiterführende Informationen
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Das Interview führte Ulrich Binkert von Germany Trade & Invest im Dezember 2021.