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Gebäude von Mauritius Union in Port Louis, Mauritius
Mauritius ist ein wenig beachteter Markt. Dabei hat der Inselstaat im Indischen Ozean mit fast 12.000 US-Dollar pro Jahr in Afrika das zweitgrößte Pro-Kopf-Einkommen und kann sich deutsche Produkte leisten. Unter den 49 Märkten in Subsahara-Afrika rangiert Mauritius bei den deutschen Exporten daher fast immer im oberen Viertel. Das Interview mit Jörg Weber, dem Group CEO der MUA Gruppe, Marktführer in Mauritius bietet einen interessanten Einblick in den in Deutschland weitgehend unbekannten Markt.
Jörg Weber wurde 2022 Group CEO von MUA. Nach einigen Jahren als Berater bei McKinsey war er zuvor 20 Jahre lang für die Allianz tätig gewesen, zuletzt als CEO der Allianz Marokko und Mitglied des Afrika-Vorstands. Im Gespräch berichtet Weber darüber, warum Versicherungen in Mauritius ein gutes Geschäft sind, über die dortige Wirtschaftslage und warum MUA nach Ostafrika expandiert ist.
Herr Weber, wie wird ein Deutscher CEO einer Versicherung auf Mauritius?
Meine berufliche Vorerfahrung hat dabei sicher geholfen. Ich war bereits einige Jahre für die Allianz in Afrika tätig gewesen. Als 2022 der Anruf aus Mauritius kam, dachte ich natürlich zuerst an Kokosnüsse unter Palmen am Strand, war mir aber auch bewusst, dass Mauritius einen sehr bedeutenden Finanzsektor besitzt, speziell im Offshore-Bereich. Ich bin dann in den Flieger gestiegen, um mir aus erster Hand einen Eindruck zu verschaffen. Ich wurde nicht enttäuscht.
Was konkret fiel Ihnen als erstes auf?
Eine für afrikanische Verhältnisse recht gute Infrastruktur, mehrere internationale Schulen und ein friedliches, stabiles soziales Gefüge mit niedriger Kriminalität – all dies schafft ein gutes Umfeld. Und Palmen und Kokosnüsse gab’s auch. Vor allem aber war die Aufgabe bei MUA für mich sehr reizvoll. Also habe ich zugesagt.
Wie sieht der Versicherungsmarkt in Mauritius aus?
Wir gehören zu den zwei großen Versicherungen in Mauritius. Gerade Mitte November ist MUA in der 2025er Ausgabe der „Mauritius Top 100 Companies“ als die Nummer 1 hier auf der Insel bestätigt worden. Es gibt hier eine gesunde Nachfrage nach Versicherungsleistungen, auch aufgrund des vergleichsweise hohen Wohlstands. Die Marktpenetration von Versicherungen ist im afrikanischen Vergleich hoch und liegt bei etwa 5 Prozent am Bruttoinlandsprodukt. Da ist noch Potenzial, denn der weltweite Schnitt liegt mit 7 bis 8 Prozent immer noch höher und Südafrika erreicht sogar stolze 12 Prozent. Aber in Subsahara-Afrika belegt Mauritius direkt hinter den Südafrikanern den 2. Platz.
Was erwarten Sie für die Zukunft?
Wir erwarten für Mauritius in der Zukunft moderates Wachstum. Die Versicherungspenetration hat noch etwas Luft nach oben, aber extrem dynamisches Wachstum ist unrealistisch, weil die Bevölkerung seit einigen Jahren bereits leicht sinkt.
Welche Art von Versicherungen bieten Sie an?
Wir sind ein Vollsortimentler, das heißt wir sind in allen großen Versicherungsbereichen tätig, also Sach-, Kranken- und Lebensversicherungen. Sowohl im Privatkundengeschäft als auch bei der Versicherung von Firmenkunden hat MUA eine führende Rolle, wenn auch das Firmenkundengeschäft noch etwas größer ist. Privatkunden können bei uns beispielsweise, wie auch in Deutschland, Kfz-, Kranken-, Lebens-, Haus- und Hausratversicherungen abschließen. Firmenkunden bieten wir unter anderem Absicherungen bei Betriebsunterbrechung, Feuer, Sturm und Cyberattacken.
Was ist Ihr Hauptgeschäft?
Die Kfz-Haftpflicht ist in Mauritius obligatorisch. Oft wollen die Autobesitzer aber mehr versichern, weil ein Totalschaden am eigenen Auto für viele Mauritier finanziell einen dramatischen Verlust darstellen würde. Daher ist die Kfz-Vollkasko ebenfalls gefragt. Gestohlen werden Autos in Mauritius übrigens kaum. Es ist halt eine Insel, gestohlene Autos weiter zu transportieren wäre schwierig und Autodiebe würden ihren Nachbarn über kurz oder lang sicher auffallen.
Wie sieht es mit Krankenversicherungen aus?
Staatliche Krankenhäuser sind grundsätzlich frei für Mauritier und Residents, aber wenn man sich es leisten kann, dann will man sich lieber privat behandeln lassen. Die Warteschlangen in staatlichen Kliniken sind lang und die Versorgung häufig vergleichsweise schlecht. Private Krankenversicherungen sind daher beliebt. Der Großteil davon sind Gruppenversicherungen der Arbeitgeber für ihre Angestellten und der Rest sind mauritische und internationale Direktkunden aus der Mittel- und Oberschicht.
Wie ist die private medizinische Versorgung in Mauritius und was deckt die private Versicherung ab?
Es gibt in Mauritius eine ganze Reihe guter, sauberer, hervorragend ausgestatteter Krankenhäuser sowie zahlreiche Arztpraxen. Bei unseren Versicherungen gibt es in der Regel eine Selbstbeteiligung und bei bestimmten Leistungen auch eine Maximalleistung der Versicherung. Wie in Deutschland kann der Kunde hier zwischen verschiedenen Paketen wählen. Zuzügler aus Europa, die sich in Mauritius ansiedeln, müssen hier vorsichtig sein: Mit über 60, bei der MUA ab 65, wird man oft nicht mehr privat versichert.
Sind Krankenversicherungen für Sie ein Wachstumsgeschäft?
Insgesamt ja, weil immer mehr Mauritier in die untere Mittelschicht hineinkommen. Dazu hat auch die Erhöhung des Mindestlohns in den letzten Jahren beigetragen. Er liegt 2025 bei rund 340 Euro. Insgesamt ist die Gruppe jener Arbeitnehmer, deren Einkommen ihnen erlaubt, sich eine private Krankenversicherung zu leisten, deutlich gestiegen.
Wie sehen Sie die Perspektiven für das wirtschaftliche Umfeld in Mauritius generell?
Es ist einer der sichersten Orte in Afrika. Dazu trägt nicht nur die relativ geringe Kriminalität bei, sondern auch die hohe Rechtssicherheit. Auch haben es die Bevölkerungsgruppen auf der ethnisch sehr heterogenen Insel geschafft, seit der Unabhängigkeit erstaunlich friedlich miteinander zu leben.
Ist die geringe Besteuerung noch ein Standortvorteil?
Die Steuern sind traditionell für die meisten Europäer ein gutes Argument nach Mauritius auszuwandern. Allerdings haben jüngste Steuererhöhungen Mauritius hier Attraktivität gekostet, gerade für die ausländischen Investoren und hochqualifizierten, mobilen Arbeitnehmer, die Mauritius so dringend benötigt, die aber auch leicht in steuerlich interessanteren Orten wie Dubai oder Singapur Beschäftigung finden können. Hier ist die neue mauritische Regierung, die letztes Jahr in freien Wahlen mit überwältigender Mehrheit gewählt wurde, in einem Dilemma. Sie muss Lösungen finden, um dringend notwendige Infrastrukturinvestitionen zu finanzieren.
Für Infrastrukturprojekte muss man doch eigentlich die Steuern erhöhen…
Aufgrund einer bereits erheblichen Staatsschuldenquote von zwischen 77 bis 82 Prozent, je nach Quelle, wären zusätzliche Steuereinnahmen hier höchst willkommen. Um soziale Konflikte zu vermeiden, möchte man jedoch speziell die von der Inflation der letzten Jahre besonders beeinträchtigten unteren und mittleren Einkommensschichten nicht belasten. Folglich wurden die Steuern hauptsächlich für die besagten hochqualifizierten ausländischen Arbeitnehmer von einem Spitzensteuersatz von 20 auf 35 Prozent angehoben.
Für Einwanderer wurde die Besteuerung des Immobilienkaufs und -verkaufs drastisch erhöht. Dies ist einerseits verständlich, droht aber mittelfristig den Ast abzusägen, auf dem die wirtschaftliche Zukunft der Insel sitzt. Diese benötigt zwingend hochqualifizierte Arbeitskräfte, die sowohl im wichtigen Finanzsektor als auch in den Zukunftssektoren fehlen, in die der Staat Mauritius seine Hoffnung steckt.
Welche Zukunftsszenarien sehen Sie für Mauritius?
Es wird sich wohl in den nächsten Jahren entscheiden, ob das wirtschaftliche Umfeld in Mauritius eines der attraktivsten, vielleicht das Beste in Afrika bleibt, oder ob die eingeleiteten Maßnahmen den Inselstaat in einen Teufelskreis geführt haben, in dem höhere Steuerraten die wichtigsten Steuerzahler und Investoren abschrecken, was Politiker häufig mit noch höheren Steuerraten beantworten.
Wie ist die Qualität der Infrastruktur?
Auch hier ist Mauritius an einem Scheideweg. Für afrikanische Verhältnisse ist die Infrastruktur gut. Das Straßennetz ist dicht und recht gut unterhalten. Öffentliche Busse erlauben es jedem, sich auf der Insel zu bewegen und seit einigen Jahren gibt es nun sogar eine Straßenbahn. Das Internet der Insel ist über mehrere Unterseekabel mit hoher Kapazität mit dem Rest der Welt verbunden.
Das klingt sehr positiv. Warum steht die Infrastruktur am Scheideweg?
Die Entwicklung dieser Infrastruktur ist in den letzten Jahren zunehmend hinter der Entwicklung des Bedarfs zurückgeblieben. Die meisten Straßen sind viel zu eng um ein Nebeneinander von Autos, Radfahrern und Fußgängern zu erlauben. Im Berufsverkehr entstehen an den zahlreichen Kreisverkehrspunkten massive Staus. Dazu kommen regelmäßig Stromausfälle und Wasserrationierung. Wasser wird unnötig durch Lecks in Leitungen und Reservoirs verschwendet.
Was ist mit der Stromerzeugung?
Hier wird nach meiner Überzeugung noch zu wenig oder zu halbherzig auf Solarenergie gesetzt. Schließlich scheint auf Mauritius die Sonne ganzjährig. Investitionen etwa in Anlagen für die Eigenversorgung würden sich nach acht bis neun Jahren amortisieren – da braucht es noch nicht einmal Subventionen des Staates. Ein massives Hindernis ist hier aber die Bürokratie. Anstatt es jedem Einwohner freizustellen, sein Dach oder Grundstück mit Solarzellen auszustatten, wird hier eine explizite Genehmigung durch den staatlichen Elektrizitätsanbieter vorgeschrieben. Und diese lässt häufig sehr, sehr lange auf sich warten.
MUA hat in mehreren Staaten Tochtergesellschaften aufgebaut. Warum?
Wir sind überzeugt, dass der Versicherungsmarkt dort ein enormes Wachstumspotenzial hat. Die gesamte Bevölkerung der Staaten, in denen wir tätig sind – Kenia, Tansania, Ruanda, Uganda und die Seychellen, ist etwa 150 mal größer als die von Mauritius, und wächst auch weiterhin viel schneller. Die Penetrationsrate dieser Bevölkerung mit Versicherungen beträgt lediglich ein Viertel derjenigen in Mauritius. Auf einer Insel wie Mauritius ist das Potenzial begrenzt und daher ist der Blick über den Ozean für uns sehr wichtig. Hinzu kommt, dass der Versicherungsmarkt auf dem afrikanischen Festland noch in den Startlöchern steckt. Mit unserem Know-how können wir uns dort Wettbewerbsvorteile erarbeiten.
Was sind die Schwierigkeiten, denen MUA in Ostafrika begegnet?
Eine Herausforderung ist die Tatsache, dass die Märkte zum heutigen Zeitpunkt im internationalen Vergleich doch noch sehr klein sind. Hinzu kommt eine teilweise extreme Fragmentierung. In Kenia beispielsweise kämpfen rund 40 Versicherer um Marktanteile. Selbst der Marktführer in Kenia ist kleiner als die Allianz in Bayern. Nur fünf bis sechs der größten Versicherer machen nachhaltig Gewinn. Das Problem sind die Fixkosten für IT, Vorstand, Direktoren und unabdingbare Experten, wie Aktuare, die über eine im Vergleich zu Europa sehr kleine Geschäftsbasis verteilt werden müssen. Hohe Kostenquoten sind daher die Regel. Und da diese hauptsächlich den Fixkosten geschuldet sind, würde zusätzliches Geschäft die Profitabilität direkt und schnell verbessern. Dies hat jedoch zu extrem scharfem Wettbewerb geführt, in dem Versicherer sich gegenseitig mit aus technischer Sicht ruinösen Preisen unterbieten.
Das wäre ein Fall für staatliche Regulierung, oder?
Trotz guter Versuche in der Vergangenheit von staatlicher Seite gibt es noch keine effektiven Regeln gegen diese Art von „Dumping“. Daher ist Kenia seit über zehn Jahren ein unprofitabler Markt. Das ist in anderen afrikanischen Ländern besser. In Ruanda beispielsweise hat der Regulator auskömmliche Mindestpreise vorgeschrieben. Insgesamt ist das regulatorische Umfeld dort sehr solide.
Die Märkte auf dem afrikanischen Festland gelten in vielerlei Hinsicht als riskant. Wie stellen Sie sich darauf ein?
Man muss sich in jedem Fall bewusst sein: Ein Engagement in Afrika ist ein Marathon, kein Sprint. Auch sollte man ein Engagement dort als Teil einer langfristigen Portfoliostrategie betrachten. Alles auf eine Karte zu setzen ist nicht empfehlenswert. Die politischen, sozialen und regulatorischen Bedingungen sind in Afrika viel volatiler als wir es aus Europa kennen. Compliance-Themen spielen eine größere Rolle, nicht als Formalität, sondern als praktische Voraussetzung langfristigen Erfolges. Versicherer in Afrika müssen akzeptieren, dass es dort immer noch deutlich wahrscheinlicher ist als in anderen Regionen, dass ein einzelner Markt aufgrund von Unruhen nach Wahlen, ethnischen Spannungen, Staatsstreichen usw. eine negative Entwicklung nehmen kann. Diese Risiken lassen sich dadurch mindern, dass man ein Portfolio von Märkten aufbaut, das die (weitgehend unkorrelierten) Länderrisiken diversifiziert. Die regionale Risikodiversifizierung ist ein Vorteil, den MUA hier als Gruppe hat, die in sechs Ländern tätig ist.
Für eine solche Strategie benötigt man als Unternehmen einen langen Atem…
In Afrika müssen Versicherer darauf vorbereitet sein, über längere Zeiträume hinweg einen hohen Managementaufwand, niedrige Eigenkapitalrenditen und zusätzliche Investitionen in Kauf zu nehmen, um sich an die lokalen Gegebenheiten anzupassen und ihre Stärken voll auszuspielen. Sind sie bereit für ein langfristiges Engagement, so bietet der Kontinent Potenzial, sobald die afrikanischen Märkte in Zukunft wirklich „durchstarten“.
Das Interview führte Carsten Ehlers von Germany Trade & Invest im Oktober 2025.
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