Noor Power Station, Solarkomplex in Marokko

Noor Power Station, Solarkomplex in Marokko

Marokko hat ehrgeizige Pläne, eine regionale Schlüsselrolle als Produzent von Wind- und Solarenergie einzunehmen, und möchte sich als Exporthub für grünen Wasserstoff positionieren. Der marokkanische Fachanwalt und Spezialist für Energiewirtschaft, Othmane Anice, teilt diese optimistische Sicht auf die Zukunft seines Landes. Gute Geschäftschancen sieht er in diesem Zusammenhang für deutsche Planungsbüros und Technologieproduzenten, aber auch für potenzielle Betreiber von Anlagen der erneuerbaren Energien.

Seine Kanzlei, MANDA, steht deutschen Unternehmen bei der Markterschließung zur Seite – auch in Ländern südlich der Sahara. Die marokkanische Wirtschaft verfügt über umfangreiches Know-how in anderen afrikanischen Ländern, das deutsche Firmen durch Partnerschaften nutzen können. Im Interview wirft er einen Blick auf die Entwicklungen im marokkanischen Energiemarkt und die Chancen, die sich für deutsche Unternehmen eröffnen.

Marokkos Energiemarkt und deutsche Chancen

Wie entwickelt sich der marokkanische Energiemarkt, insbesondere bei erneuerbaren Energien und grünem Wasserstoff? 

Marokkanischer Fachanwalt und Energiespezialist Othmane Anice Othmane Anice Marokkanischer Fachanwalt und Energiespezialist Othmane Anice

Marokko hat die erneuerbaren Energien bereits in den frühen 2000er Jahren eingeführt. Inzwischen verfügt das Königreich über eine installierte Kapazität von 4000 Megawatt (MW), was ein Drittel der Gesamtkapazität ausmacht. Damit erzeugt das Land 22 Prozent des im Netz vorhandenen Stroms.

Was speziell Wasserstoff betrifft, hat Marokko mit seiner nationalen Strategie zum Ausbau des grünen Wasserstoffs im Jahr 2021 eine führende Rolle in der Energietechnik eingenommen. Derzeit wird ein konkretes Ausbauprogramm vorbereitet, das bis Ende 2023 vorliegen soll.

Gibt es Chancen für die deutsche Industrie, sich an diesen Projekten zu beteiligen?

Die gute Nachricht für die deutsche Wirtschaft ist, dass Marokko jedes Jahr Projekte im Bereich der erneuerbaren Energien ausschreibt. Gleichzeitig modernisiert der staatliche Energieversorger und Netzbetreiber ONEE seine Netze, um die Integration der erneuerbaren Energien zu erleichtern. Aktuell läuft eine Ausschreibung für die Entwicklung eines 400-MW-Sonnenstrom-Projekts namens Noor Midelt III. Was die Technologien für Photovoltaik- und Speichersysteme angeht, ist das vorerst ergebnisoffen.

Besonders vielversprechend sind die Chancen für die deutsche Industrie im Bereich grüner Wasserstoff und seinen Derivaten, vor allem bei der potenziellen Erzeugung von grünem Ammoniak. Denn die marokkanische Phosphat- und Düngemittelindustrie benötigt diesen händeringend.

Wie steht es um den Export von grünem Wasserstoff nach Europa?

Hier bietet Marokko der deutschen Industrie vielversprechende Möglichkeiten, die Wertschöpfungskette für grünen Wasserstoff und seine Derivate für den europäischen Markt auszubauen. Dies umfasst die Erzeugung erneuerbarer Energien, die Entwicklung von Elektrolyseuren, den Aufbau einer Pipeline-Infrastruktur sowie die Herstellung verschiedener Moleküle wie Wasserstoff, Ammoniak, Methanol, LOHC und MCH. Die deutsche Industrie hat hier gute Erfolgsaussichten, zumal sie auf dem Gebiet der erneuerbaren Energien in Europa als führend gilt.

Regularien unterstützen den Ausbau erneuerbarer Energien

Wie sieht das aktuelle regulatorische Umfeld auf dem marokkanischen Energiemarkt aus? 

Im Jahr 2010 wurde auf Initiative von König Mohammed VI das Gesetz 13-09 verabschiedet, das einen wichtigen regulatorischen Grundstein für die erneuerbaren Energien gelegt hat. Seitdem erfolgt der Aufbau der nationalen Stromversorgung aus erneuerbaren Energien durch öffentlich-private Partnerschaften in Form von „Build, Own, Operate (Transfer)“. Diese Projekte werden maßgeblich von ONEE sowie von der Behörde für erneuerbare Energien, MASEN, geleitet.

Außerdem trat im Jahr 2022 das Gesetz 82-21 zur Eigenstromerzeugung in Kraft. Dieses Gesetz gibt Stromverbrauchern - darunter Privathaushalte, Gewerbe und Industrie - die Möglichkeit, Elektroenergie für den eigenen Bedarf zu erzeugen und den Überschuss in das Netz einzuspeisen.

Welche Normen und rechtlichen Anforderungen gelten für deutsche Exporteure von Technologiegütern in Marokko?

Regulatorisch müssen Importeure von Technologiegütern die marokkanischen Normen einhalten. Speziell für Photovoltaikprodukte und solarthermische Anlagen sind Ministerialverordnungen sowie Verordnungen des Instituts für Normung relevant. Die Grundlage dafür bildet das Gesetz 12-06 “Über Normung, Zertifizierung und Akkreditierung”.

Über marokkanische Kooperationen Märkte in Westafrika erschließen

Haben Sie Erfahrung mit deutschen oder europäischen Energieunternehmen oder Exporteuren?

Unsere Beratungstätigkeiten erstrecken sich bisher auf spanische und italienische Energieunternehmen, die in Marokko tätig sind. Unser Fokus liegt dabei vor allem auf Due-Diligence-Prüfungen im Zusammenhang mit Projektdokumentation, Finanzierung und Umweltverträglichkeit sowie beim Immobilienerwerb und bei Regulierungsfragen.

Ist Marokko eine geeignete Basis für deutsche Unternehmen, um in andere afrikanische Märkte einzusteigen?

Marokko hat sich seit einiger Zeit als Plattform für ausländische Unternehmen etabliert, die in Afrika tätig sein möchten. Das Königreich hat sich sogar den Ruf als "Tor nach Afrika" erworben. Tatsächlich ist Marokko eine sehr gute Option für deutsche Unternehmen, die nicht nur in unserem Land, sondern auch weiter südlich auf dem Kontinent aktiv werden wollen.

Ist eine Zusammenarbeit mit marokkanischen Unternehmen in anderen afrikanischen Ländern eine Option?

Wie bereits erwähnt, arbeiten marokkanische Unternehmen seit längerem erfolgreich in Ländern südlich der Sahara und verfügen über umfangreiches Fachwissen in verschiedenen Sektoren - angefangen beim Bankensektor, über Bergbau und Bauwirtschaft bis hin zu unserem heutigen Gesprächsthema, der Energieversorgung. Marokkanische Unternehmen sind in ganz Westafrika unterwegs, was deutschen Unternehmen in dieser Region vielversprechende Kooperationsmöglichkeiten bietet. Nach meiner Beobachtung sind marokkanische Unternehmen offen für solche Partnerschaften.

Wie können Sie dabei unterstützen?

Wir als Kanzlei konzentrieren uns auf die Begleitung, rechtliche Betreuung und strategische Beratung sowohl in Marokko als auch in frankophonen und anglophonen Ländern Afrikas. Unser Fachwissen erstreckt sich auf verschiedene Sektoren, wie Infrastruktur, Energie sowie natürliche Ressourcen. Wir bieten aber auch Prozessdienstleistungen an und vertreten unsere Kunden vor marokkanischen Gerichten. Von hohem Nutzen sind uns dabei unsere Sprachkenntnisse in Deutsch, Englisch, Französisch und Arabisch.

Das Interview führte Ullrich Umann von Germany Trade & Invest im September 2023.

 

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