VueTel Antenne

In Afrika gehören lokale Telekomgesellschaften zu den Kunden von VueTel.

Beim Anruf nach Rom sind "momentan alle Leitungen belegt", die Einladung zum Videocall kommt von der Sekretärin, und organisiert ist das Interview vom Pressesprecher. Dabei geht es hier nicht etwa um einen Konzernboss. Giovanni Ottati, Chef des italienischen Telekomdienstleisters VueTel, verdient das Geld für sich und seine 25 Mitarbeiter fast ausschließlich in Afrika. Dort kam er lange gut zurecht in seiner Marktnische. Nun wird aber auch in Togo, Benin oder Burkina Faso die Konkurrenz härter. Eine Geschichte von David gegen Goliath und wie es jetzt die Blockchain richten soll. 

Afrika war aussichtsreicher als Osteuropa

Herr Ottati, was macht VueTel?

Giovanni Ottati, Geschäftsführer VueTel Giovanni Ottati, Geschäftsführer VueTel

Wir helfen bei der internationalen Übertragung von Sprache und Daten zwischen Telekommunikationsunternehmen nach und in Afrika. Für diese Kommunikation sorgt nicht nur der Netzbetreiber selbst, sondern auch eine Vielzahl externer Dienstleister. Wir sind eine dieser Firmen, wobei wir meist quasi auf der letzten Meile unterwegs sind. 

Unsere Kunden sind ausschließlich die Telekomgesellschaften. Wenn die Niederlassung einer europäischen Firma in Togo sicher mit ihrer Zentrale kommunizieren will, tut sie dies üblicherweise als Kundin des lokalen Netzbetreibers. Dieser nutzt dafür auch externe Dienstleister, zum Beispiel uns - mit Technik, die wir installiert haben und betreiben. 

Sie starteten Ihr Geschäft in Afrika. Warum?

Weil ich nur dort eine Chance sah. Nach Osteuropa zum Beispiel waren früh massive Investitionen der großen Telekom-Gesellschaften geflossen. Mit einem breiten Angebot an Dienstleistungen durch die Netzbetreiber selbst oder einer Vielzahl externer Firmen. Afrika hingegen war zunächst weniger im Fokus der Branche, und dort gab es noch nicht so viel Konkurrenz. 

Wie gründeten Sie VueTel?

Ich bin kein ausgebildeter Telekom-Ingenieur oder Techniker, habe aber lange bei Italcable und dann bei Telecom Italia gearbeitet, zuletzt als Verantwortlicher für Afrika, die Mittelmeerländer und den Nahen Osten. 2009 machte ich mich selbständig, und zwar in Tunesien, weil ich dort zeitweise aufgewachsen war und eine besondere Beziehung zum Land hatte. Mein künftiges Tätigkeitsfeld hatte ich mir zuvor in einer sechsmonatigen Analyse genau überlegt. 

Welche Leute stellen Sie ein?

Ausschließlich Hochschulabsolventen. Sie verdienen sich bei uns ihre ersten beruflichen Sporen und bleiben dadurch länger. Unsere derzeit rund 25 Mitarbeiter arbeiten alle in Rom. Etwa 15 stammen aus Italien selbst, die anderen aus Iran, Burkina Faso, Niger und anderen Ländern. Zu Spitzenzeiten 2017 hatte VueTel 50 Mitarbeiter. Dazu zählten auch 15 Leute in Tunesien, unserem damals wichtigsten Markt.

Burkina Faso war ein Risiko – aber es klappte

Wie kamen Sie nach Burkina Faso, Ihrem zweiten Markt?

Ich kannte den Geschäftsführer des drittgrößten Netzbetreibers dort, der seinen Firmeneigner überredete: Wir installierten daraufhin Satellitenschüsseln und Schalttechnik, um seine Gesellschaft besser mit dem internationalen Netzwerk zu verbinden. Auf mein Risiko hin – ich investierte also alles und sie bezahlten mich später. Das war haarig, aber es funktionierte.

Wer machte konkret die Arbeit in Burkina Faso?

Ein einheimischer Ingenieur. Da ich ihn nicht bezahlen konnte und auch nicht das Risiko eines eigenen Unternehmens dort eingehen wollte, überredete ich ihn dazu, seine eigene Firma zu gründen, mit mir als einzigem Kunden. Mit der Zeit stellte er zwei weitere Ingenieure an, die er auf meinen Vorschlag hin unter seinen Bekannten und Freunden fand. Es ist praktisch Outsourcing, mein Partner zahlt seine Steuern und Abgaben. Wir selbst haben nichts mit den Behörden zu tun, auch nichts mit Lizenzen oder Genehmigungen. 

Mit Blockchain gegen die Konkurrenz

Was stoppte Ihr Wachstum?

Seit etwa 2017 müssen wir unser Geschäft neu erfinden. Afrikas Telekommärkte wachsen zwar äußerst dynamisch, inzwischen haben aber auch die großen Konzerne massiv in Nord- und Zentralafrika investiert, mit Orange aus Frankreich an der Spitze. Es läuft dort jetzt ähnlich wie in etablierten Märkten: viel Konkurrenz bei den einzelnen Dienstleistungen und niedrige Preise. 

Wie reagierten Sie darauf?

Wir bleiben in unserem angestammten Geschäft, haben aber Anfang 2021 einen neuen Zweig gestartet: die Absicherung von internationalem Sprach- und Datenverkehr mittels Blockchain und künstlicher Intelligenz. Wenn Sie heute nach Äthiopien anrufen und hören nur eine automatische Ansage, ist es beim Empfänger möglicherweise tatsächlich besetzt. Der Anruf kann aber auch bei einem der vielen Dienstleister dazwischen "hängen" geblieben sein, wofür Sie als Anrufer im Zweifelsfall bezahlen. Das verhindert unsere Technologie.

Und so etwas hat noch keiner der riesigen Telekomkonzerne entwickelt?

Nein, es ist das erste Antifraud-System in der Telekommunikation. Wir sind damit ohne Konkurrenz und haben auch Patente angemeldet; einige Wettbewerber haben schon versucht uns zu kopieren. Entwickelt wurde unser System maßgeblich von einem Blockchain-Experten, den ich 2019 eingestellt hatte, nach reiflicher Überlegung zum Konzept. Ich weiß, dass wir im Zweifelsfall Milliarden-Budgets gegen uns haben, aber ich bin zuversichtlich. 

Banken geben dem Mittelständler keine Kredite

Wie finanzieren Sie sich?

Ausschließlich aus Eigenmitteln. Schon mein Startkapital damals bestand lediglich aus meiner Abfindung bei Telecom Italia von 200.000 Euro. Ich komme nicht aus einer vermögenden Unternehmerfamilie. Bis heute haben wir keinerlei Schulden, notgedrungen. 

Banken geben keine Kredite? 

Jedenfalls nicht uns. Die Banken wollen Sicherheiten in einem Umfang, wie ich – und andere kleine Mittelständler – sie einfach nicht beibringen können. Vor allem aber liegt es an unserem Markt, also an Afrika, dass ich nichts bekomme.

Banken achten sehr darauf, nicht in Geschäfte mit Geldwäsche verwickelt zu werden. Und sie agieren nach dem Prinzip "kenne deinen Kunden". Leider gilt Afrika immer noch weitgehend als Terra Incognita. Vorherrschend sind die Stereotype über Armut, Korruption und Misswirtschaft. Dabei bietet das Geschäft dort genauso viele Facetten wie anderswo auch, und dazu gehören auch hervorragende Schuldner und transparente Abläufe. Zudem sind italienische Banken praktisch nicht in Afrika aktiv. 

Bei französischen Instituten hatten Sie auch kein Glück?

BNP Paribas ist sehr gut auf dem Kontinent aufgestellt. Aber wir sind nun mal eine italienische Firma, und wir können nicht von der Agilität und Flexibilität des französischen Netzwerks in Afrika profitieren, die namentlich in den frankofonen Ländern zu beobachten sind. Auch bei Entwicklungsbanken kam ich nicht weiter. 

Die italienische Präsenz in Afrika finden Sie ausbaufähig?

Jenseits von Energie und Infrastruktur sowie einiger sehr erfolgreicher Aktivitäten in Landwirtschaft, Nahrungsmittelverarbeitung und Textilindustrie gibt es leider nur wenige italienische Firmen in Afrika. Dazu hatte ich einen guten Einblick während meiner beiden Amtszeiten als Präsident von Assafrica, der Afrika- und Nahostabteilung des italienischen Industrieverbands Confindustria. 

Besser regionalen Ansatz wählen

Haben Sie einen Tipp für deutsche Mittelständler, die nach Afrika gehen wollen?

Dass sie sich eingehend überlegen, was genau sie anbieten werden. Wofür sie natürlich ihren Markt kennen müssen und zudem auch die Leute, mit denen sie das stemmen wollen. Wie können Sie wachsen, wenn Sie die Leute nicht kennen? 

Sollte man in einem Land anfangen oder gleich mit einer regionalen Strategie?

Auf jeden Fall mit einem regionalen Ansatz. Die meisten Märkte sind sehr klein und bieten nur begrenzte Umsatzmöglichkeiten. Vor allem aber herrscht extrem viel Bewegung zwischen den Ländern. So arbeiten viele Millionen Burkiner in der ivorischen Landwirtschaft oder in Malis Bergbau. Die Leute müssen zwischen den Ländern hin- und herfahren, Geld überweisen oder telefonieren – mit entsprechender Wertschöpfung, für die gute Angebote gesucht sind. Vergessen werden bei Westafrika immer wieder die Vorteile der Währung: Die Staaten haben mit dem CFA eine einheitliche, an den Euro gekoppelte Währung. Dies vereinfacht das Geschäft außerordentlich. 

Das Interview führte Ulrich Binkert von Germany Trade & Invest im März 2021.  

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