Eröffnung des Accso-Büros in Kapstadt

Accso-Büro eröffnet feierlich in Kapstadt.

In Deutschland ist der Mangel an IT-Spezialisten deutlich spürbar. Das Darmstädter Software-Unternehmen Accso - Accelerated Solutions GmbH hat proaktiv gehandelt und eine Niederlassung in Südafrika gegründet, um dort qualifizierte Fachkräfte zu gewinnen. Innerhalb des ersten Jahres ist das Team am neuen Standort in Kapstadt auf 24 Mitarbeitende angewachsen. Es ist inzwischen in 20 Prozent aller Kundenprojekte eingebunden und gewinnt neue eigene Kunden hinzu. Im Interview erklärt Jürgen Artmann, Geschäftsführender Gesellschafter und Mitgründer der Accso GmbH, warum sich das Recruiting von Fachkräften in Afrika lohnt und wie das Unternehmen die standortübergreifende Zusammenarbeit zwischen Deutschland und Südafrika fördert.

Südafrika: 30 qualifizierte Bewerbungen auf eine Stellenanzeige

Jürgen Artmann, Geschäftsführender Gesellschafter und Mitbegründer von Assco GmbH Assco GmbH Jürgen Artmann, Geschäftsführender Gesellschafter und Mitbegründer von Assco GmbH

Herr Artmann, warum haben Sie sich entschieden, Fachkräfte in Afrika zu rekrutieren?

In Deutschland sind wir zu langsam gewachsen. Unser Rekrutierungskanal hier sind die Hochschulen. Studierende kommen als Werkstudenten zu uns, schreiben eine von uns betreute Masterarbeit und bleiben dann langfristig. Aber bis wir einen Software-Ingenieur haben, dauert es ein bis zwei Jahre. So sind wir nur in den jungen Karrierestufen gewachsen, mit Fachkräften ohne lange Berufserfahrung. Deshalb haben wir uns überlegt, wo wir erfahrene Fachkräfte finden können. Dann haben wir entschieden: Wir wollen dahin, wo der Arbeitsmarkt noch nicht so umkämpft ist. Und wo es gut ausgebildete Fachkräfte gibt. So sind wir auf Südafrika gekommen.

Haben Sie auch andere afrikanische Länder in Betracht gezogen? 

Wir hatten zunächst Namibia, Ägypten und Marokko auf einer Liste von insgesamt zehn Ländern. Bei genauerer Prüfung haben wir festgestellt, dass die südafrikanische University of Cape Town in IT den ersten Platz in ganz Afrika einnimmt, und die Stellenbosch University den vierten Platz. Deren Niveau ist in etwa vergleichbar mit deutschen Hochschulen wie der Universität Kaiserslautern oder der Technischen Universität Darmstadt. In Südafrika gibt es zudem viele erfahrene, englischsprachige Fachkräfte mit mindestens vier, manchmal sogar sieben bis neun Jahren Berufserfahrung. Die Mischung aus Sprache, Arbeitsmarkt und Verfügbarkeit von Fachkräften, zusammen mit Faktoren wie vergleichbarer Zeitzone und Kultur, hat uns von Südafrika überzeugt.

War die Suche nach passenden Mitarbeitern erfolgreich?

Auf jeden Fall. In Südafrika erhalten wir auf eine Stellenanzeige für einen Senior Entwickler über 40 Bewerbungen, von denen etwa 30 so qualifiziert sind, dass wir sie einstellen könnten. Im Gegensatz dazu erhalten wir in Deutschland auf eine solche Anzeige viele Bewerbungen von Kandidaten, die nicht ausreichend qualifiziert sind. In beiden Ländern hilft uns unsere Auszeichnung als „Great Place to Work“ bei der Personalsuche. Vor allem südafrikanische Talente arbeiten gerne für deutsche Firmen, weil wir technologisch spannende Projekte entwickeln. Auch die Zeitzone ist für viele ein weiteres Argument. Daher fällt es uns leichter, in Südafrika zu wachsen.

Internationaler Frauentag im Accso-Büro Accso GmbH Internationaler Frauentag im Accso-Büro

Also hat sich der neue Standort in Südafrika gelohnt?

Ja, absolut. Früher war für uns das entscheidende Kriterium bei der Gründung einer Niederlassung: Sind da Kunden? Und heute ist es: Sind da Fachkräfte? Seit der Pandemie ist die Bereitschaft, remote zu arbeiten, erheblich gestiegen. Und das Argument, ich muss physisch in der Nähe des Kunden sitzen, ist weggefallen. Wir sind sehr positiv überrascht davon, wie sich der Standort Südafrika entwickelt. Die Qualität der Arbeit unseres Teams in Kapstadt ist exzellent, die Akzeptanz auf dem Markt ist groß. Trotz der großen Investitionen in den neuen Standort und des teuren Büros an der Waterfront haben wir im ersten Jahr einen Gewinn von zehn Prozent des Umsatzes erreicht. Was will man mehr? Wir sind ausgesprochen zufrieden.

Buddy-System und interkulturelle Schulung stärken die Zusammenarbeit

Warum brauchen Sie unbedingt berufserfahrene Fachkräfte?

Wir entwickeln komplexe und individuelle Softwaresysteme, wie beispielsweise für die Deutsche Stiftung Organtransplantation. Hier haben wir ein hochkritisches System für die Organisation von Organspenden in Europa entworfen. Die Software prüft zunächst, ob Organe entnommen werden können, was mehrfach verifiziert werden muss. Dann ordnet sie die Organe genetisch zu. Anschließend wird eine Helferkette von Chirurgen, Hubschrauberpiloten und Transportpersonal aktiviert, um die Organe innerhalb weniger Stunden europaweit zu verteilen. Bei solchen Projekten geht es um Menschenleben und sensible Daten. Das erfordert jahrelange intensive Arbeit mit einem erfahrenen und zuverlässigen Team. 

Wie haben Ihre deutschen Mitarbeiter darauf reagiert, dass ein Teil der Projekte nun von Kapstadt aus mitbetreut wird?

Von Anfang an haben wir unsere Suche nach internationalen Standorten transparent gestaltet, indem wir die Longlist der Länder und unsere Überlegungen im Intranet veröffentlichten. Das weckte sofort großes Interesse und viele Fragen. Die offene Kommunikation und Einbeziehung der Mitarbeiterideen trugen zur Akzeptanz bei, da sie die Entscheidungsfindung mitgestalten konnten.

Wie funktionieren der Wissensaustausch, die Qualitätssicherung und die Zusammenarbeit zwischen den beiden Standorten?

Im ersten Jahr haben wir 24 neue Mitarbeitende eingestellt und ein Buddy-Konzept eingeführt. Jede Person hat einen deutschen Buddy aus der gleichen Karrierestufe mit genauso viel Berufserfahrung bekommen. Die gemischten Teams tauschen sich regelmäßig per Videokonferenz aus. Sie halten Vorträge und geben ihr Wissen weiter, sowohl von Deutschland nach Südafrika als auch umgekehrt. Es gibt auch von den Mitarbeitern selbst gegründete Gruppen zu speziellen Themen wie zum Beispiel Künstliche Intelligenz. Zweimal im Jahr fliegen wir die Belegschaft aus Südafrika für zwei Wochen nach Deutschland ein, damit sie an Fachevents, Weiterbildungen und Kundenterminen teilnehmen kann. Wir veranstalten auch interkulturelle Trainings mit einer Trainerin, die beide Kulturen gut kennt und Themen wie unbewusste Vorurteile und historische Hintergründe der Länder behandelt.

Ausbau des Südafrika-Standorts für internationales Kundenwachstum

Hatten Sie Unterstützung beim Markteintritt? 

Sehr gute Erfahrungen haben wir mit der Auslandshandelskammer in Südafrika gemacht. Ich habe mich persönlich mit der Repräsentantin der Kap-Region, Frau Tambusso-Ferraz, vor Ort getroffen. Sie hat unsere Fragen zu den südafrikanischen Marktgegebenheiten beantwortet und uns zu einem Unternehmertreffen der AHK eingeladen. Das ist eine sehr gute Möglichkeit, um sich mit lokalen Unternehmen und Institutionen zu vernetzen. Wir sind seitdem ständig mit ihr in Kontakt. Unser Niederlassungsleiter nimmt regelmäßig an Messen in Kapstadt und Johannesburg teil. Die Teilnahme am deutschen Gemeinschaftsstand hat sich ebenfalls für uns als lohnenswert erwiesen. Einen ersten Überblick über Fördermöglichkeiten und Ansprechpartner auf dem Kontinent haben wir im Gespräch mit dem IHK-Netzwerkbüro Afrika erhalten. 

Was sind Ihre Zukunftspläne auf dem Kontinent?

Wir sind ambitioniert und streben an, Südafrika zu einem vollwertigen Standort auszubauen, der mit unseren vier Niederlassungen in Deutschland gleichwertig ist. Unser Ziel ist es, von Südafrika aus nicht nur deutsche Kunden zu bedienen, sondern auch eigene internationale Kunden in Ländern wie den Niederlanden, Schweden, Irland oder Großbritannien zu gewinnen. Wir haben zum Beispiel schon Kunden in London – dank unserer englischsprachigen Kollegen in Südafrika. Bis Ende nächsten Jahres wollen wir die Mitarbeiterzahl auf 50 verdoppeln, langfristig sehen wir im Standort Südafrika ein Potenzial für 100 Mitarbeitende.

Was raten Sie Unternehmen, die über einen Markteintritt in Afrika nachdenken?

Mein Ratschlag ist: Fliegen Sie hin und sehen Sie sich vor Ort alles an. Kontaktieren Sie vorher die zuständige AHK, um erste Tipps zu erhalten. Das würde ich auf jeden Fall empfehlen. Ansonsten ist es wichtig, klare Kriterien für die Standortwahl festzulegen. Ein so strukturiertes Vorgehen hat uns geholfen, aus einer Longlist von afrikanischen Ländern eine Shortlist zu machen. Zudem ist es hilfreich, nach Erfolgsgeschichten zu suchen und mit bereits in den Ländern aktiven Unternehmen zu sprechen. Wenn jemand Interesse hat, etwas über Südafrika zu erfahren, kann er sich gerne an mich wenden.

Das Interview führte Lisa Sidorova vom IHK-Netzwerkbüro Afrika (INA) im Februar 2024.

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