Textilfabrik in Ägypten

Für Modefirmen aus Deutschland und dem nahegelegenen Ausland spielt Nordafrika bei der Beschaffung eine immer wichtigere Rolle. Von der Diversifizierung der Beschaffungsmärkte profitieren Bekleidungshersteller unter anderem aus Tunesien, Marokko und Ägypten. Sie präsentieren sich nun beim "Apparel Sourcing Club-Day" des Gesamtverbandes der deutschen Maschenindustrie e.V., der am 25. Mai 2023 in Frankfurt erstmals veranstaltet wird.

Sven Eriskat von der Berliner Außenwirtschaftsberatung infoAid hat im Beschaffungsmarketing für die Modeindustrie viel Expertise gesammelt. Im Video-Interview gibt er Einblick in eine dynamische Branche.

Nordafrikas Nähe als Trumpf

Herr Eriskat, gibt es unter deutschen Bekleidungsunternehmen einen Trend zur Beschaffung in Nordafrika?

Nach Ausbruch von Corona konnten wir uns vor entsprechenden Anfragen kaum retten. Die Grenzschließungen in China und explodierende Transportkosten haben das Risiko verdeutlicht, wenn man zu sehr auf wenige Lieferanten in Asien setzt. Unsere Kunden wollen nun verstärkt ihre Beschaffungsmärkte diversifizieren. Den Trend zu Nordafrika gibt es aber schon seit etwa zehn Jahren. Der Transport von dort hat auch einen kleineren ökologischen Fußabdruck. Tunesien lieferte im letzten Jahr Bekleidung für rund 600 Millionen Euro nach Deutschland, fast doppelt so viel wie noch sieben Jahre zuvor. Die Zahlen für Marokko sind ähnlich.

Wollen die Modefirmen ihre Lieferanten auch wegen "Fast Fashion" näher bei sich haben?

Das ist sogar der Hauptgrund. Bei Fast Fashion geht es ja um immer mehr Kollektionen in immer kürzeren Abständen, also auch um kleinere Bestellmengen und vor allem um Schnelligkeit. Ein Lkw aus Marokko ist in drei oder vier Tagen bei uns, der Seeweg aus China oder Bangladesch dauert viel länger. Vor etwa 15 Jahren hat vor allem Inditex Aufträge in Nordafrika platziert, der spanische Weltmarktführer mit Marken wie Zara. H&M kam etwas später, danach auch Unternehmen wie Primark. Hinzu kommt der stetig wachsende Onlinemarkt, der den Handel bis heute umkrempelt.

Osteuropa wird zu teuer 

Aber für uns ist Osteuropa doch noch näher als Nordafrika?

Deutsche Modeanbieter beschaffen tatsächlich viel in Osteuropa, auch mit eigenen Fabriken. Die Löhne dort steigen aber schnell, in Nordmazedonien zum Beispiel in einem Jahr von monatlich unter 300 auf rund 400 Euro. Bulgarien hatte noch vor fünf Jahren teils niedrigere Arbeitskosten als Tunesien, heute ist es umgekehrt. In Tunesien und Marokko kann man derzeit mit rund 320 Euro Monatslohn rechnen. Außerdem gibt es in Osteuropa schlichtweg zu wenig Arbeitskräfte, auch in Ländern wie Albanien. Zu viele Menschen sind ausgewandert oder haben sich zumindest andere, als attraktiver geltende Jobs gesucht. Interessanterweise bietet die Ukraine weiterhin wettbewerbsfähige Bedingungen. Das Land konnte seine Bekleidungsausfuhren nach Deutschland im letzten Jahr trotzt des anhaltenden Konflikts erhöhen.

Und die Türkei?

Die politische und wirtschaftliche Situation dort hat deutsche Modeeinkäufer vorsichtiger gemacht. Darüber hinaus gibt es in der Türkei Kapazitätsengpässe. Das Land bleibt aber aufgrund einer vertikal integrierten Wertschöpfungskette - die Türkei produziert also alles von der Faser bis zum fertigen Kleidungsstück - ein wichtiger Textil- und Bekleidungslieferant. In den letzten Jahren hat auch der Verfall der türkischen Lira die Kosten der Betriebe gedrückt. Zudem erhebt Europa bei Lieferungen aus der Türkei keine Zölle. Dies gilt für Bekleidung von Herstellern in der Türkei und von Produzenten in anderen Ländern etwa in Nordafrika, die maßgeblich türkische Stoffe verarbeiten. Auf Produkte mit asiatischem Ursprung fallen hingegen Zölle an.

Wer produziert in Nordafrika eigentlich Bekleidung für deutsche Kunden?

Einige deutsche Anbieter von Hosen, Hemden oder Berufsbekleidung haben eigene Fabriken in Tunesien, das ist aber der kleinste Teil. Im Normalfall kommt die Ware von Auftragsfertigern. Für jede Lieferung, seien es 30.000 Hosen oder auch nur 200 Hemden, gibt es einen eigenen Auftrag. Die Fabriken haben typischerweise 200 bis 400 Beschäftigte in Tunesien und etwas mehr in Marokko. Sie gehören meist einheimischen Familien. Die Firmen sind unabhängig und haben sich auf die Produktion von Exportbekleidung konzentriert.

Marokko investiert jetzt auch in die Verarbeitung der Stoffe

Sehen Sie Potenzial für mehr deutsche Beschaffung von Mode in Nordafrika?

Ja, besonders in Marokko. Die Branche dort ist bislang auf die Belieferung weniger Großkunden wie eben Inditex ausgerichtet. Sie versucht nun aber, neue Abnehmer auch aus Deutschland zu erschließen. Die Betriebe beginnen die Stoffe selbst zu bedrucken und zu färben, anstatt die Rohware fertig zu importieren und zu konfektionieren. Sie können damit flexibler und individueller produzieren, der Digitaldruck eröffnet da viele Möglichkeiten. Außerdem schließen sich marokkanische Hersteller zusammen, um ein breiteres Produktspektrum abzudecken. Die Investitionen in Technik dürften übrigens auch deutsche Lieferanten von Textilmaschinen interessieren. Tunesiens Bekleidungssektor hingegen ist aus deutscher Einkäufersicht schon gut erschlossen und wird wohl auch eher an Kapazitätsgrenzen stoßen.

Was ist mit Ägypten?

Dort gibt es tatsächlich viel Potenzial. Ägyptens Bekleidungsproduzenten sind traditionell auf den US-Markt ausgerichtet. Nach Deutschland exportierten sie im letzten Jahr nur für 170 Millionen Euro, Tunesien mit seiner viel kleineren Industrie für fast 600 Millionen. Und dies, obwohl die Bekleidungsbranche in Ägypten, anders als in Marokko und Tunesien, alles produziert - von der Baumwolle und der Synthetikfaser bis hin zum fertigen Kleidungsstück. Marktbestimmend sind große Unternehmen, die diese ganze Wertschöpfung abdecken. Und die Entwicklung von Geschäften mit solchen - oftmals recht unflexiblen - Konglomeraten ist nicht einfach. Dafür sind auf deutscher Seite erst mal große, erfahrene Abnehmer gefragt, die den nötigen Aufwand stemmen können und wollen.

Das Interview führte Ulrich Binkert von Germany Trade & Invest im Mai 2023.

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