In Afrika sind innovative Lösungen für die Kreislaufwirtschaft gefragt

Der Zugang zu deutschen und europäischen Märkten ist für viele afrikanische Unternehmen nicht leicht: Hohe Umwelt- und Sozialstandards, Zertifizierungen und bürokratische Abläufe stellen oftmals eine Hürde dar. Zudem haben viele deutsche Einkäufer die Märkte im südlichen Afrika bislang kaum auf dem Radar.

Genau das möchte Timo Pleyer, Leiter des Kompetenzzentrums Sourcing an der AHK Südliches Afrika, ändern. Wie das Kompetenzzentrum lokale Produzenten bei ihrer Integration in europäische Liefer- und Wertschöpfungsketten unterstützt und warum deutsche Einkäufer die Region stärker in den Blick nehmen sollten, schildert der diplomierte Betriebswirt im Interview.

Brücke zwischen den Märkten

Herr Pleyer, beim Thema „Beschaffung“ steht das südliche Afrika bislang bei den meisten deutschen und europäischen Unternehmen nicht im Fokus. Wie wollen Sie dies ändern?

Timo Pleyer, Delegierter der Deutschen Wirtschaft in Nigeria Deutsche Industrie - und Handelskammer für das südliche Afrika Timo Pleyer, Delegierter der Deutschen Wirtschaft in Nigeria

Mit unserem Kompetenzzentrum Sourcing an der AHK Südliches Afrika sind wir sowohl Ansprechpartner für lokale Produzenten als auch für deutsche und europäische Einkäufer. Dabei gehört es in der Tat zu unseren Zielen, auf die Beschaffungspotenziale in der Region aufmerksam zu machen, im Rahmen von Publikationen und Veranstaltungen, zum Beispiel in Kooperation mit IHKs. Gleichzeitig bieten wir ihnen Zugang zu unserem Netzwerk vor Ort und unterstützen sie bei der Suche nach passenden Lieferanten.

Unser Schwerpunkt liegt jedoch in der Beratung lokaler Unternehmen, wenn es darum geht, ihre Produkte und Lösungen in die deutschen und europäischen Lieferketten zu bringen.

Wie sieht Ihre Unterstützung für lokale Unternehmen konkret aus?

Firmen aus dem südlichen Afrika bieten wir ein breites Unterstützungsportfolio, stellen zum Beispiel Kontakte zu europäischen Unternehmen, Verbänden und weiteren Multiplikatoren her oder beraten und informieren zu Lieferketten, Markteintrittsstrategien und Messen. Darüber hinaus organisieren wir Workshops und Trainings zu Themen wie Exportmarketing, Messeauftritt oder Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit.

Wir beantworten auch konkrete Fragen zu Exportregularien und unterstützen bei der Erlangung erforderlicher Zertifikate oder der CE-Kennzeichnung der Europäischen Union. Hier vermitteln wir zum Beispiel Kontakte zu entsprechenden Prüflaboren.

Können Sie uns die Zusammenarbeit an einem Beispiel erläutern?

Ja, Catin Systems (Pty) Ltd. ist ein gutes Beispiel. 2012 gründeten zwei Südafrikanerinnen das ICT-Unternehmen. Es hat sich auf 4IR-Technologien wie Softwareentwicklung, robotergestützte Prozessautomatisierung und Datenanalyse spezialisiert. Eine der beiden Geschäftsführerinnen kam im Anschluss an eine Veranstaltung auf mich zu, um eine Zusammenarbeit anzustoßen.

Wir haben das Unternehmen über unser Netzwerk und soziale Medien bekannt gemacht, unter anderem im Rahmen des deutschen 'Fit for Partnership'-Programms. Schließlich haben sich daraus Kontakte zu deutschen Unternehmen ergeben. Inzwischen steht Catin Systems kurz davor, seinen ersten Vertrag mit einem deutschen Partner zu unterzeichnen. Dabei geht es um die Bereitstellung von Humankapitallösungen, das heißt IKT-Anwendungen für die Personalverwaltung und Betreuung der Mitarbeiter.

Zudem haben wir Catin Systems mit der Digital Skills Acceleration Africa (DSAA) Organisation vernetzt, die sich für mehr IKT-Qualifikation in Afrika engagiert. Catin Systems entwickelt dafür eine digitale Plattform, die darauf abzielt, mehr IKT-Fachkräfte in den verschiedenen Ländern zu gewinnen .

Die Deutsch-Südafrikanische Handelskammer hat uns dabei unterstützt und begleitet, unser Netzwerk in Deutschland und anderen afrikanischen Ländern zu erweitern. Sie hat uns geholfen zu verstehen, welche IKT-Lösungen unsere deutschen Kunden brauchen, speziell im Bereich Humankapital. So konnten wir deutsche Märkte erschließen und unsere Geschäftsbeziehungen ausbauen“.

Melissa Lewis, CEO Catin Systems (Pty) Ltd.

 

Anpassung an europäische Qualitäts- und Mengenstandards

Was sind die größten Herausforderungen für lokale Produzenten, um in die Lieferketten deutscher Unternehmen zu gelangen?

Eine Herausforderung sind die Anforderungen, die Lieferanten erfüllen müssen, damit sie bei europäischen Importeuren gelistet werden. Aus südafrikanischer Sicht bedeutet das einen hohen bürokratischen Aufwand. Oft ist es für südafrikanische Firmen ungewohnt, sensible Daten zu Umsatz, Personalkosten, Materialeinsatz, Firmenstruktur und ähnlichem preiszugeben. Auch hier unterstützt unser Kompetenzzentrum bei Bedarf.

Weiteres Hemmnis kann sein, dass lokale Produzenten nicht die gewünschte Menge in der erforderlichen Qualität liefern können. Wir kennen Fälle, in denen die Unternehmen deshalb mit Unterauftragnehmern zusammengearbeitet haben. Das kann jedoch zu Qualitätsverlusten führen. Viele Unternehmen müssen noch an die europäischen Qualitätsstandards und Abnahmemengen herangeführt, man könnte auch sagen „fit für den Export“ gemacht werden.

Welche zusätzlichen Hürden bringt die Corona-Pandemie mit sich?

Aufgrund der Reisebeschränkungen ist aktuell meist nur ein virtueller Kontakt möglich. Viele Einkäufer wollen sich vor einer Beauftragung jedoch selbst ein Bild von der Produktion vor Ort machen. Das kann unser Kompetenzzentrum nur schwer auffangen. Künftig könnten Virtual Reality Brillen und andere technische Innovationen zum Einsatz kommen, um auch aus der Ferne gute Einblicke zu gewinnen. VR-Technik kann jedoch persönliche Treffen nicht ersetzen. Auch der Ausfall von physischen Messen, Delegations- und Einkäuferreisen erschwert den Austausch zwischen europäischen Einkäufern und afrikanischen Lieferanten erheblich.

Angenommen, ein deutscher Einkäufer will im südlichen Afrika sourcen. Was benötigen Sie für ein effizientes Matchmaking?

Im Idealfall wissen die Einkäufer genau, welche Produktmengen sie benötigen und über welche (technischen) Zertifizierungen Lieferanten verfügen, welche Standards sie erfüllen müssen. Sobald diese Faktoren geklärt sind, machen wir uns auf die Suche nach einem passenden Lieferanten. Dabei nutzen wir unser breites Netzwerk vor Ort und insbesondere unsere guten Kontakte in die lokale Verbandslandschaft. Bei Bedarf unterstützen wir Lieferanten dabei, die erforderlichen Zertifikate oder Kennzeichnungen für den Export in die EU zu erlangen. Auf diese Weise ergibt sich eine Win-Win-Situation – der deutsche Einkäufer erschließt neue Beschaffungsmärkte, der afrikanische Produzent neue Absatzmärkte.

Welche Produkte aus dem südlichen Afrika sind in den Lieferketten deutscher Unternehmen bereits verankert?

Südafrika spielt in puncto Sourcing für Deutschland im Vergleich zu den umliegenden Ländern mit Abstand die bedeutendste Rolle. Zu den wichtigsten südafrikanischen Exportgütern zählen Edelmetalle und Erze. Allerdings sind die Kapazitäten zur Veredelung und Verarbeitung vor Ort noch unterentwickelt. Das bedeutet: Die Liefer- und Wertschöpfungsketten sind stark ausbaufähig. Daneben gehören Fahrzeuge und Zuliefererteile zu den wichtigsten südafrikanischen Exportprodukten. Sieben internationale Automobilhersteller produzieren in Südafrika, darunter BMW – der X3 wird hier produziert –, Daimler und Volkswagen. Die Komponenten und Teile beschaffen die Autobauer dabei in großem Umfang lokal: Südafrika verfügt über rund 500 Automobilzulieferer, die neben klassischen Motorenteilen wie Katalysatoren auch Aluminiumprodukte, Motor- und Getriebekomponenten, Wärmetauscher sowie klassische Gusseisenkomponenten herstellen. 

 

Innovationen sind gefragt: E-Mobilität, Greentech, IT-Services

In welchen Sektoren sehen Sie für südafrikanische Unternehmen in Zukunft großes Potential?

Die aktuelle Dynamik im Automotive-Sektor eröffnet innovativen Automobilzulieferern zahlreiche Chancen. Denn durch die wachsende Bedeutung der E-Mobility und der Batterieherstellung gewinnt der südafrikanische Rohstoffsektor enorm an Gewicht. Lieferketten werden in diesem Sektor neu strukturiert und ausgerichtet. Bislang wird ein Großteil der exportierten Rohstoffe in Asien veredelt. Mit dem Aufbau von Kapazitäten in der Batteriefertigung kann sich Südafrika hier neu positionieren.

Auch in der Herstellung technisch intelligenter Textilien – den sogenannten Smart Textiles – für den Fahrzeuginnenraum sehe ich für Südafrika gute Chancen. Großes Potential erkennen wir auch im Bereich von IT-Dienstleistungen und Support-Prozessen – Stichwort „Business Process Outsourcing“. So könnten IT-Support Center deutscher Firmen künftig von südafrikanischen Dienstleistern abgewickelt werden. Diese bieten ihre Services bereits in zahlreichen Ländern Afrikas an und wollen verstärkt auch europäische Kunden gewinnen.

Darüber hinaus spielt der südafrikanische Agrarsektor eine wichtige Rolle – er ist einer der vielfältigsten weltweit. Ein neues Kompetenzzentrum an der AHK Südliches Afrika soll die Kooperation zwischen deutschen und südafrikanischen Unternehmen in diesem Sektor ausbauen und vertiefen. Es wird vom Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft gefördert.

Außerdem kommen innovative Produkte und Dienstleistungen von Greentech-Unternehmen aus dem südlichen Afrika auf den Markt, zum Beispiel in den Bereichen Kreislaufwirtschaft, Erneuerbare Energien, nachhaltiges Bauen, Materialeffizienz oder die Produktion von Biokraftstoffen. Hier setzen wir aktuell ein von der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) GmbH gefördertes Projekt um. Es will zehn innovative Unternehmen aus dem südlichen Afrika mit deutschen und europäischen Unternehmen vernetzen.

Im Bereich nachhaltiges Bauen hat Stumbelbloc aus Simbabwe ein innovatives modulares Bausystem entwickelt, das Zeit spart, Kosten reduziert und einfach anzuwenden ist. Auch dieses Unternehmen sucht nach europäischen Kunden bzw. Kooperationspartnern. Es tut sich also einiges!

Welchen konkreten Tipp geben Sie deutschen Einkäufern auf den Weg?

Bei der Suche nach neuen Geschäfts- und Produktionspartnern wird sich ein Blick nach Südafrika lohnen! Die sehr diversifizierte südafrikanische Wirtschaftsstruktur mit ihrem industriellen Sektor als Basis bietet einige hochinnovative Unternehmen mit starken Produkten und einem guten Preis-Leistungsverhältnis. Besonders in Pandemiezeiten, die zu einer Neuausrichtung von Wertschöpfungs- und Lieferketten führten, sollte das südliche Afrika nicht vergessen werden: Die Unternehmen vor Ort sind hochmotiviert! 

Weiterführende Informationen

Das Interview führte Marie Scholz von der DIHK Service GmbH im Januar 2022.

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